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Aktualisiert von Marco am 22. November 2023
Veröffentlicht von Carina am 5. Oktober 2020
Definition
Der Jetlag ist eine nach Langstreckenflügen über mehrere Zeitzonen auftretende Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus (von jet “Düsenflugzeug” und lag “Zeitdifferenz”). Umgangssprachlich findet sich auch die Bezeichnung Zeitzonenkater. „International Classification of Sleep Disorders“ – so nennt sich ein Klassifikationssystem für Schlafstörungen. Der Jetlag wird in diesem Zusammenhang als „Zirkadiane Schlaf-Wach-Rhythmusstörung, Typ Jetlag” klassifiziert. Was bedeutet das konkret? Wenn wir schnell über mehrere Zeitzonen reisen, ist die innere Uhr nicht mehr synchron mit der neuen Ortszeit. Es kommt so einiges aus dem Takt: Essens- und Schlafenszeit, Hormonproduktion, Körpertemperatur, die Wahrnehmung von Licht und Dunkelheit. In der Folge prägen sich unterschiedliche Beschwerden aus.
Beschwerdebild
Die Beschwerdebilder fallen von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich aus. Starke Müdigkeit zur Unzeit, Merk- und Konzentrationsschwächen, Leistungsabfall, bisweilen sogar Muskelschmerzen, Appetit- und Verdauungsstörungen und schlussendlich Schlafstörungen kennzeichnen sie. Wer den Jetlag kennt, kennt diese Beschwerden sicherlich in der einen oder anderen Ausprägung. Wer dem vorbeugen bzw. es behandeln will, sollte daher die Ursachen des Jetlags genauer unter die Lupe nehmen. Das tun wir jetzt.
Ursachen
Welche physikalischen und biologischen Mechanismen spielen eigentlich die wesentliche Rolle, wenn es um den Jetlag geht? Grundsätzlich drei:
- Das natürliche Zeitsystem
- Die hohe Geschwindigkeit des Fliegers
- Die innere Uhr (die sog. zirkadiane Rhythmik)
Schauen wir uns diese Faktoren genauer an.
Das natürliche Zeitsystem
Gleich zuerst eine sensationelle Erkenntnis: Die Erde ist keine Scheibe! Na gut, Spaß beiseite, dennoch ist es wichtig, festzuhalten, dass unser wunderschöner, kugelrunder Planet sich in 24 Stunden einmal um sich selbst dreht. Durch diese Rotation verschiebt sich das Tageslicht von einem Längengrad zum nächsten um 4 Minuten. Bei 360 Längengraden, in die die Erde unterteilt ist, werden 15 Längengrade in einer Stunde überbrückt. Klingt kompliziert, ist es auch, wir halten an dieser Stelle der Einfachheit halber fest: Die Erde ist in 24 Zeitzonen unterteilt, von denen jede 15 Längengraden entspricht. Gleich noch verkomplizierend kommt hinzu, dass Zeitzonen auch gemäß geographischer und nationaler Grenzen definiert wurden. Die sog. MEZ (mitteleuropäische Zeit) umfasst so auch Länder, die eigentlich nicht in der identischen Zeitzone liegen. Wie dem auch sei, für uns ist jetzt wichtig, dass auf Flügen Richtung Osten der Tag verkürzt wird und umgekehrt bei Flügen Richtung Westen verlängert.
Ostflüge gehen daher mit einer Vorverlagerung der Ortszeit einher, man spricht vom sog. “advance shift”, Westflüge dagegen mit einer Verzögerung oder dem “delay shift”.
Die Flugzeuggeschwindigkeit
Gönnen wir uns an dieser Stelle einmal eine kleine Pause und besteigen einen VW Bulli, um mit ihm z.B. von Hamburg nach Sibirien zu fahren. Ein schöner Roadtrip, bei dem wir ja auch in verschiedenen Zeitzonen unterwegs wären. Doch von Jetlag keine Spur. Offenbar kann der Mensch eine gewisse Zeitdifferenz durch die Anpassung seiner Schlaf-Wach-Rhythmik ausgleichen. Bei Schiffs-, Bahn- oder Autoreisen mag also so manches passieren, aber wir werden vom Jetlag verschont. Was passiert, wenn wir mehr Gas geben und die Reisegeschwindigkeit erhöhen? Fliegen wir jetzt einfach mal z.B. von Hamburg nach Alaska. Abflug ist 14.00 Uhr und die Ankunft? Genau, immer noch 14.00 Uhr. Und das obwohl das Flugzeug 10 Stunden unterwegs war und wir natürlich auch. Eigentlich wäre für uns jetzt Schlafenszeit, doch wir landen am hellen Tag. Kein Wunder, dass jetzt einiges durcheinander kommt. Was uns zum dritten Faktor des Jetlag bringt: der inneren Uhr.
Die innere Uhr
Der Mensch verfügt über ein inneres biologisches Zeitsystem. Zahlreiche Veränderungen der Körperfunktionen werden durch dieses Zeitsystem reguliert. Unser Herz schlägt im Sekundentakt, ein Schlafzyklus dauert in der Regel 90 Minuten, Gehirnströme liegen im Bereich von Zehntelsekunden, um nur einige Beispiele zu nennen. Der Schlaf-Wach-Rhythmus liegt bei 24 Stunden und wird daher wie oben bereits ausgeführt zirkadiane Rhythmik genannt.
Hell- und Dunkelphasen, soziale Kontakte, Arbeits-Ruhe-Zyklen, Essenszeiten und Schlafzeiten regulieren gemeinsam mit der inneren biologischen Uhr die zirkadiane Rhythmik, selbst dann, wenn wir z.B. durch künstliches Licht den natürlichen Hell-Dunkel-Wechsel gewissermaßen “austricksen” wollen. Schichtarbeit ist beispielsweise ebenfalls der Versuch, demgegenüber eine eigene von Umweltfaktoren unabhängige Rhythmik zu etablieren, was allerdings in der Regel nicht gelingt, weswegen man hier auch vom “sozialen Jetlag” spricht.
Halten wir fest, dass die sog. transmeridianen Flüge ein zeitliches Ungleichgewicht zwischen der inneren Uhr und dem äußeren natürlichen Zeitsystem erzeugen. Die o.g. synchronisierenden Umweltfaktoren verschieben sich. Daher spricht man in diesem Zusammenhang auch von Desynchronisation zwischen zirkadianer Rhythmik und den natürlichen Zeitgebern. Die innere Uhr ist nicht in der Lage, sich sogleich an die neue Ortszeit anzupassen und braucht Zeit, um die vollständige Synchronisation wieder herzustellen. Diese “Unfähigkeit” erzeugt den Jetlag.
Beispiel: Wir sind voll synchronisiert an die Ortszeit unseres Abflugortes. Um 10:00 Uhr starten wir. Die Landung erfolgt nach 11 Stunden, doch am Zielort ist es erst 14:00 Uhr. Die innere Uhr signalisiert Müdigkeit, man will eigentlich zu Bett gehen. Doch am Zielort ist heller Tag, die Menschen sind agil, das soziale Leben “tobt”, überall jede Menge Aktivität. Schon Essen gehen bedeutet jetzt in gewisser Hinsicht eine Überwindung, denn eigentlich ruft die Koje. Kurz gesagt: Wir sind desynchronisiert.
Desynchronisieren & Resynchronisieren
Es liegt auf der Hand, dass man nirgendwo hinfliegt, um sich dann ganz und gar dem eigenen Schlaf-Wach-Rhythmus hinzugeben und sein eigenes Ding zu machen. Dann könnte man eigentlich auch gleich zu Hause bleiben. Gefragt ist also eine gewisse Anpassungsfähigkeit an die “neue” Umgebung. Diese Anpassung wird von den Menschen individuell unterschiedlich bewältigt.
Individuelle Unterschiede
Die Bandbreite der Anpassung an die neue zeitliche Umgebung reicht von den sog. Schnell-Anpassern bis zu den Langsam-Anpassern. Die einen synchronisieren sich also in wenigen Tagen, bei den anderen kann es manchmal Wochen dauern. Doch woran liegt das? Willkommen bei den Chronotypen, also dem Phänomen, dass Menschen zu ganz unterschiedlichen Tageszeiten Ihr Leistungsoptimum erreichen. Stichwort: Morgentyp und Abendtyp. Untersuchungen haben ergeben, dass sich Abendtypen schneller resynchronisieren als Morgentypen. Auch wenn hier der Spruch gilt, Ausnahmen bestätigen die Regel, so lässt sich relativ einfach erklären, warum es diese Unterschiede gibt. Der Abendtyp braucht in der Regel etwas länger, um in die Gänge zu kommen. Er ist meist jünger, hat flexible Schlafgewohnheiten und labile Schlaf-Wach-Rhythmen. Stark vereinfacht und etwas flapsig könnte man sagen: Er wabert so durch den Tag und befindet sich eigentlich ständig in einer gewissen Anpassungsroutine. Anders hingegen der Morgentyp. Er ist in der Regel schon etwas älter, hat feste ausgeprägte Schlafgewohnheiten und stabile Schlaf-Wach-Rhythmen. Seine Gewohnheiten werden also durch die Desynchronisation sehr stark auf die Probe gestellt. Eine Zeitverkürzung (Flug nach Osten) kann dieser Typus zumeist besser verkraften als die Tagesverlängerung (Flug nach Westen). Beim Abendtyp ist es in der Regel umgekehrt. Interessanterweise ist das den Jetlag-Betroffenen in dieser Form gar nicht bewusst. Sie befinden sich vielmehr in dem Glauben, dass Ihr Schlaf gestört ist, ohne eine bewusste Klarheit darüber zu haben, dass die Schlafstörung ein Ausdruck der Desynchronisation des Schlaf-Wach-Rhythmus ist. Was also hat es mit dem Jetlag und Schlafstörungen auf sich.
Jetlag und Schlafstörungen
Natürlich kann man leicht übermüdet shoppen gehen in Manhattan, an einem Business-Meeting teilnehmen oder der abendliche Einladung zu einem Lunch folgen, wenn man einen langen Flug hinter sich hat. Das funktioniert, zwar nicht so reibungslos wie gewünscht, aber irgendwie geht es. Das sehen die meisten Menschen eher als Herausforderungen an, denen sie sich im aktiven Teil ihres Tagesablaufes stellen. Doch irgendwann kommt die Zubettgehzeit. Die Action ist vorbei, man wünscht sich Ruhe und Erholung. Mit dem Jetlag gehen jetzt Schlafbeschwerden einher. Untersuchungen an Piloten und anderen Probanden bestätigen Einschlafschwierigkeiten, wiederholtes spontanes Aufwachen während der Nacht oder einen Schlafmangel durch zu frühes Aufwachen am Morgen. Kein Wunder, denn die Abfolge der Schlafstadien ändert sich nach transmeridianen Flügen. Nach Westflügen verzögert sich der Schlaf. Das sorgt für einen gewissen Schlafentzug. Dieser Entzug erleichtert dann das Einschlafen. Allerdings setzt der Tiefschlaf früher ein und kann länger dauern. Insgesamt ändert sich die Schlafstruktur (siehe hier auch Beitrag zur Schlafdauer). Innerhalb von mehreren Tagen normalisiert sich der Schlaf dann wieder. Da Ostflüge oft über Nacht stattfinden, hat der Reisende trotz verkürztem Tag zunächst keine oder nur geringe Schlafprobleme. Denn im Flieger hat er in der Regel nicht zu seinem normalen Schlaf gefunden und ist dann bei Ankunft in der ersten Nacht quasi ausreichend müde. Das kann sich allerdings in den folgenden Nächten ändern. Denn die innere Uhr ist ja immer noch auf Wachsein und Aktivität eingestellt, obwohl am Zielort die Nacht beginnt. Alles in allem eine vertrackte Situation, so dass sich die Frage stellt, ob man Abhilfe schaffen kann?
Tipps: Was Hilft gegen Jetlag?
Zunächst einmal kann man von Vielfliegern lernen. Im Zuge ihrer Erfahrungen haben sich Anpassungshilfen herauskristallisiert, die man zur Kenntnis nehmen und wenn möglich auch praktizieren sollte. Im Folgenden eine kurze Übersicht:
Nicht-Medikamentöse Maßnahmen gegen Jetlag
- Einige Vielflieger treffen erste Vorbereitungen bereits vor dem eigentlichen Abflug: Vor Flügen gen Osten gehen sie 1 bis 2 Stunden früher ins Bett. Entsprechend vor West-Flügen etwas später als normalerweise.
- Wenig oder kaum Alkohol während des Fluges.
- Wenig oder leichtes Essen. Hier sollte man auch nicht immer unbedingt dem Angebot folgen, sondern sich am eigenen Bedürfnis orientieren.
- Am besten steigt man am Ankunftsort gleich in die dortige Tageszeit ein und legt sich nicht im abgedunkelten Hotelzimmer zur Erholung ab.
- Helles Tageslicht „tanken“ und sich nach Möglichkeit viel an der frischen Luft bewegen.
- Keine übermäßige Anstrengung am Ankunftsort an den ersten beiden Tagen.
- Daher nach Möglichkeit wichtige Business-Meetings so gestalten, dass sie auch in die individuell eher wache Zeit fallen. Also gen Westen am Morgen und gen Osten am Abend.
- Es hilft auch, den Jetlag nicht übermäßig zu thematisieren. Also nicht groß drüber reden oder ständig daran denken.
- Auch zu beachten ist: Warmes weißes Licht entspannt. Die natürliche Melatonin-Produktion wird angeregt, was dem Einschlafen zugute kommt. Kaltes, weißes Licht mit hohem Blau-Anteil wie etwa bei Computern, TV-Geräten oder Tablets unterdrückt hingegen die Melatonin-Ausschüttung. Also lohnt es sich, ein entsprechendes „Licht-Management“ zu betreiben, um den Jetlag besser abzufedern.
Medikamentöse Hilfsmittel
Manche Vielflieger und auch Schlafexperten empfehlen, schlafbahnende Medikamente ganz zu vermeiden. Wenn doch zu einem Schlafmittel gegriffen wird, dann zu einem, das eine kurze Wirkzeit hat, um die zirkadiane Rhythmik nicht zu sehr zu beeinflussen. Hierzu solltest Du Rücksprache mit Deinem Hausarzt halten.
Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder über Melatonin. Gerade in den USA erfreut es sich großer Beliebtheit. Melatonin findet sich in verschiedenen Körperflüssigkeiten und ist eine hochinteressante körpereigene Substanz mit vielerlei Funktionen. Schenkt man aktuellen Studien Glauben, ist es allerdings nicht so erfolgreich im Einsatz gegen den Jetlag wie versprochen. Doch da möge sich jeder sein eigenes Urteil bilden und entsprechende Fachliteratur und medizinische Experten zu Rate ziehen.